Letzte Aktualisierung am: Tue, 27. Dec 2011
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Stereofotografie heute

Gerhard P. Herbig,   gph@herbig-3d.de

1. Einführung

Jeder Mensch hat zwei Augen, um räumlich sehen zu können. Kneift man ein Auge zu, ist dies nicht mehr möglich (versuchen Sie es!). Weil eine normale Kamera nur ein Objektiv ( = ein Auge) hat, können die so entstandenen Bilder (von Stereofotografen Flachbilder genannt) allenfalls eine Vorstellung der räumlichen Perspektive vermitteln. Eine echte Wahrnehmung der dritten Dimension erreicht man dagegen nur mit einem Stereobild, wie man es z.B. mit Hilfe der Stereofotografie herstellen kann (eine andere Möglichkeit ist z.B. die 3D-Computergenerierung).

Der Faszination eines Stereobildes kann sich kaum ein Betrachter entziehen. Um so erstaunlicher ist es, dass sich die Stereofotografie bis heute nicht weiter verbreitet hat, ist sie doch schon genauso alt wie die Fotografie selbst, nämlich etwa 160 Jahre. Die größte Verbreitung erreichte sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals war fast in jeder Familie (vor allem in den USA) ein Stereoskop zur Betrachtung von gekauften Stereokarten zu finden. Anfang des 20. Jahrhunderts begann dann mit dem Aufschwung der Flachbildmedien gleichzeitig auch der Rückzug der Stereofotografie.

Lediglich in den 30er und in den 50er Jahren gab es noch zwei Anläufe zur kommerziellen Nutzung, die aber immerhin zur Produktion einiger 100 000 Kameras führten (Kodak Stereo Kamera, Realist Stereo 3.5, Belplasca u.a.m.). Seit dieser Zeit jedoch führt die Stereofotografie ein regelrechtes Schattendasein, gepflegt nur von wenigen begeisterten Amateuren, die ihre Geräte entweder selbst bauen oder sich auf den Fotobörsen eine alte Stereokamera besorgen müssen - zumindest bis vor kurzem.

Welche Möglichkeiten gibt es nun heute, auf Stereo umzusteigen, und was sollte hierbei alles beachtet werden? Um diese Frage zu beantworten, soll nun ein kleiner Ausflug in die Aufnahme- und Wiedergabetechnik erfolgen.


2. Räumliches Sehen

Räumliches Sehen ist eine Leistung unseres Gehirns, das in der Lage ist, die beiden unterschiedlichen Netzhautbilder im linken und rechten Auge zu einem einheitlichen Raumeindruck zu verschmelzen. Die beiden von den Augenlinsen auf die Netzhaut projizierten Halbbilder lassen sich aber auch künstlich, beispielsweise mit fotografischen Mitteln, erzeugen. Dadurch ist es möglich, die konventionellen Methoden der Flachbildfotografie auch in der Stereofotografie anzuwenden. Dazu werden die beiden Aufnahmen im Foto quasi zwischengespeichert und erst bei der Betrachtung getrennt auf die Netzhaut abgebildet. Es herrschen dann genau die gleichen Verhältnisse wie bei dem natürlichen beidäugigen Sehen, wodurch eine perfekte Täuschung unseres Gehirns erreicht werden kann. Das folgende Bild soll die Ähnlichkeit des räumlichen Sehens und des räumlichen Fotografierens nochmals verdeutlichen.




3. Techniken zur Aufnahme von Stereobildern

Damit zwei Flachbilder auch tatsächlich ein Stereobildpaar (bestehend aus linkem und rechtem Stereo-Halbbild) ergeben, müssen sie im wesentlichen folgende Forderungen erfüllen:

Es gibt nun prinzipiell zwei verschiedene Möglichkeiten, Stereobilder herzustellen. Entweder werden die beiden Aufnahmen gleichzeitig aufgenommen oder zeitlich versetzt nacheinander. Mit der ersten Möglichkeit kann man beliebige, und vor allem sich bewegende Objekte fotografieren, benötigt dafür aber entweder eine echte Stereokamera oder aber zumindest zwei normale Kameras, die nebeneinander auf einer Schiene montiert sind und sich zeitgleich auslösen lassen (z.B. pneumatisch). Obwohl genau dies der Weg ist, mit dem viele Stereofotografen beginnen, ist er gleichzeitig technisch der anspruchsvollste, denn schon geringste Abweichungen in Belichtung, Brennweite oder Auslösezeitpunkt machen sich im Ergebnis störend bemerkbar.

Wer sich aber vor Experimenten nicht scheut, kann hier durchaus zu brauchbaren Ergebnissen kommen. Geeignete Modelle für einen Zusammenbau sind kleine Kompaktkameras wie z.B. die - leider nicht mehr hergestellte - Rollei 35, die aber auf Fotobörsen immer noch zu finden ist. Wer gleich eine richtige Stereokamera haben möchte, kann sich ebenfalls auf dem Gebrauchtwarenmarkt umsehen und findet dort, wenn er Glück hat, eine guterhaltene Belplasca oder eine russische FED, die für die ersten stereofotografischen Schritte genügen mag. Seit einigen Jahren baut eine kleine Firma im Stuttgarter Raum (RBT) moderne Sucher- und Spiegelreflex-Stereokameras, die bezüglich mechanischer und optischer Qualität keine Wünsche mehr offen lassen.

Wer sich jedoch auf reine Stilleben beschränkt, der kann auch ohne große Neu-Investitionen Stereoaufnahmen herstellen, denn bei unbewegten Objekten gibt es ja immer noch die Möglichkeit, erst die eine Aufnahme und dann die andere Aufnahme zu machen, - und das mit jeder beliebigen Monokamera! Aufnahmen in freier Natur gelingen mit dieser Methode allerdings nur selten, denn schon geringste Änderungen zwischen den beiden Aufnahmen führen zu erheblichen Betrachtungsstörungen. Problematisch sind erfahrungsgemäß vor allem vorüberziehende Wolken, sich (auch bei leichtem Wind) bewegende Blätter oder Reflektionen an Wasseroberflächen. Dagegen ist diese Technik für table-top Aufnahmen und für die Makrofotografie ideal. Man braucht dazu nur einen Einstellschlitten, der aber nicht in Aufnahmerichtung montiert wird, sondern einfach quer dazu. So kann man leicht nacheinander zwei Aufnahmen mit seitlich versetzten Kameraachsen machen (zur Stereobasis siehe unten). Eigens zu diesem Zweck bietet die Fa. Novoflex einen sehr empfehlenswerten Stereoschlitten an. Zwischen den beiden Aufnahmen darf natürlich nichts verändert werden. Dies gilt im besonderen Maße für die Lichtquelle, so daß bei Blitzaufnahmen der Blitz keinesfalls am Objektiv oder an der Kamera befestigt werden darf. Wer diese wenigen Regeln befolgt, der kann schon mit verhältnismäßig einfachen Mitteln zu recht beachtlichen Erfolgen kommen. Eine normale Kamera-Ausrüstung, mit der beispielsweise eine Orchidee formatfüllend abgebildet werden kann, ist also zur Makro-Stereofotografie ebenso gut geeignet.


4. Die Wahl der Stereobasis

Die Diskussion über die Wahl der optimalen Stereobasis ist genauso alt wie die Stereofotografie selbst. Die heute allgemein akzeptierten Erkenntnisse sollen nun im folgenden zusammengefaßt werden. Man unterscheidet dazu drei Bereiche der Stereofotografie:

  1. Die naturgetreue Stereofotografie. Wenn ein möglichst naturgetreuer Raumeindruck erreicht werden soll, muss die Basis entsprechend dem Augenabstand von etwa 65 mm gewählt werden. Setzt man zwei Monokameras auf eine Schiene, wird dieser Wert meist überschritten. Zwar sind geringe Abweichungen vom Sollwert unkritisch, oberhalb von 10cm wirkt der Raumeindruck jedoch schon deutlich übertrieben.

  2. Für Fernaufnahmen wird von der Möglichkeit, die Tiefenwirkung durch eine größere Stereobasis zu steigern, ganz bewusst Gebrauch gemacht. So lassen sich beispielsweise mit mehreren Metern (!) Stereobasis ganze Gebirgszüge so abbilden, als würde man auf eine Modell-Landschaft blicken. Für die Bereiche der Normal- und Fernaufnahmen gilt die Merkregel I:

    Stereo-Basis < Nahpunktweite geteilt durch Brennweite

    (alle Größen in Millimeter angeben), wobei die Nahpunktweite die Entfernung zum nächsten auf dem Bild sichtbaren Gegenstand ist. Aus dieser Merkregel kann man auch ablesen, dass bei einer naturgetreuen Stereoaufnahme mit 65mm Basis und beispielsweise 40mm Brennweite die Nahpunktweite mindestens 2,6m sein muss, also während der Aufnahme kein Gegenstand, der auf dem Bild zu sehen ist, einen kleineren Abstand als diese 2,6m von der Kamera besitzen darf. Andernfalls erhält das Stereobild zu viel räumliche Tiefe, was dann später bei der Betrachtung den Verschmelzungsprozess erheblich stört oder sogar ganz verhindert (siehe Kasten). Diese Regel geht jedem Stereofotografen mit der Zeit in Fleisch und Blut über, denn Bilder, die diese Regel verletzen, wandern zwangsläufig in den Papierkorb.

  3. Bei Makroaufnahmen - und dieser Bereich ist für den Anfänger nach den bisherigen Äußerungen ja besonders interessant - gilt die Merkregel II:

    Stereo-Basis < Abstand Objektiv-Objekt geteilt durch 20.

    Wichtig ist, den Abstand nur bis zum Objektiv (Hauptebene, in der Praxis reicht die Ebene des Blendenringes) und nicht bis zur Filmebene zu messen. Wie man leicht selbst ausrechnen kann, kommt man mit dieser Merkregel bei der Fotografie von Blüten auf eine Stereobasis von etwa 1-2cm. Selbstverständlich handelt es sich bei obiger Regel nur um eine Richtlinie, flache Objekte vertragen eine etwas größere Basis, tiefere Objekte dagegen nur einen kleineren Wert. Auf jeden Fall bleibt genug Raum zum experimentieren, eine oder zwei Aufnahmen mehr mit unterschiedlicher Basis sind niemals schädlich.


5. Technik zur Betrachtung von Stereobildern

Beim Betrachten von Stereobildern ist es notwendig, dass das linke Halbbild nur vom linken Auge gesehen wird und das rechte Halbbild nur vom rechten Auge. Diese Aufgabe befriedigend zu lösen, ist jedoch ohne zusätzliche technische Hilfsmittel leider nicht möglich. Während sich bei der Flachbildfotografie eine vergleichbare Aufgabe erst gar nicht stellt, steht man hier in der Stereoskopie einem völlig neuen Problem gegenüber. Alle gängigen Verfahren zur Betrachtungstechnik aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Außerdem sind für den Amateur sowieso nur der Diabetrachter und die Diaprojektion interessant. Für beide Verfahren müssen die Aufnahmen als Diapositive vorliegen.

Die erste Alternative ist ebenso einfach wie preisgünstig: man verwendet einen Stereobetrachter, der im einfachsten Fall auch aus zwei einzelnen Diabetrachtern (z.B. Agfa-Gucki) bestehen kann. Wer sorgfältig arbeitet (kein Verkanten, kein Verdrehen), kann sich ohne weiteres selbst einen Betrachter bauen, jedoch hat man hier auch auf dem freien Markt die Auswahl zwischen ganz unterschiedlichen Geräten. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass es für die Stereofotografie eigene Diarähmchen gibt, in welche beide Halbbilder nebeneinander gerahmt werden können. Auch für dieses sogenannte 41x101 - Format (die Außenmaße der Diarähmchen betragen 41mm und 101 mm) sind Diabetrachter unterschiedlicher Qualitäts- und Preisstufen erhältlich, wobei die Vorteile dieser Rahmung besonders bei der Diaprojektion voll zum tragen kommen. Diese erste Art der Stereobildbetrachtung ist der geeignete Weg zum Einstieg in das neue Hobby.

Die zweite Alternative der Stereobetrachtung ist die Stereoprojektion. Bei dieser Technik werden die beiden Halbbilder aufeinander auf die gleiche Stelle der Leinwand projiziert. Damit das linke Auge nur das linke Dia und das rechte Auge nur das rechte Dia sieht, sendet der Diaprojektor die beiden Bilder mit zwei unterschiedlichen Lichtarten, nämlich mit polarisiertem Licht mit aufeinander senkrecht stehenden Polarisationsebenen. Der Betrachter muss dann eine Polarisationsbrille tragen, welche für jedes Auge nur das zugehörige Licht durchlässt und das Licht für das jeweils andere Auge sperrt. Auf diese Weise ist eine überaus eindrucksvolle und wirklichkeitsnahe Bildwiedergabe möglich. Das Erlebnis einer fehlerfreien Stereoprojektion ist der eigentliche Motor der ganzen Stereofotografie und ist auch für den Kenner immer wieder ein Genuss! Allerdings ist es dazu notwendig, dass alle in diesem Artikel genannten Anforderungen an ein Stereodia peinlichst genau erfüllt werden. Sehr wichtig ist z.B. die exakte Lage der Dias innerhalb des Diarähmchens, wobei die Verwendung echter Stereodiarahmen (41x101) schon das wichtigste Hilfsmittel darstellt. Nicht ganz so hohe Anforderungen stellt dagegen der Diabetrachter; hier sind einige Fehler erlaubt, welche bei der Projektion schon nicht mehr akzeptabel wären. Deshalb eignet sich dieses Gerät auch ganz besonders für den Anfänger. Wer sich trotzdem für die Projektion entscheidet und sich einen modernen Stereodiaprojektor leisten möchte, dem bietet die Fa. RBT alle notwendigen Utensilien und Geräte an - einschließlich der Stereodiarähmchen und der Leinwand. Natürlich kann man auch zwei normale Diaprojektoren einsetzen, jedoch muss besonders dem Anfänger auf Grund der langen Liste möglicher Fehlerquellen und Störungseinflüsse von diesem Vorgehen ausdrücklich abgeraten werden. Das Risiko, viel Lehrgeld für ein letztlich doch nicht befriedigendes Ergebnis zu bezahlen, ist einfach zu groß.


6. Wo bekomme ich weitere Informationen

Damit ist dieser kleine Ausflug in die Stereoskopie beendet. Wer jetzt Lust auf weitere Informationen verspürt und die Zeit findet, ein Buch in die Hand zu nehmen, der findet in [1] eine praxisorientierte Einführung in die Stereofotografie, in [2] neben der Praxis mit einem Schwerpunkt im Zusammenbau von Einzelgeräten auch ausführliches theoretisches Grundlagenwissen mit vielen Bildbeispielen sowie in [3] ein leicht lesbares Standardwerk der Stereoskopie (in englischer Sprache), in dem alle wichtigen Themen dieses Bereiches erschöpfend behandelt werden. Eine sehr gute und preisgünstige Einführung in die Stereoskopie bietet auch der Ausstellungskatalog Stereoskopie vom Museum für Verkehr und Technik, Berlin [4]. Aktuelle Informationen findet man dagegen im stereo-journal [5], dem Vereinsorgan der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie. Einen guten Überblick über alle derzeit erhältlichen Publikationen und Geräte (z.B. Diabetrachter) geben die Lieferlisten der Firmen RBT und perspektrum. Regelmäßige Veranstaltungen und Treffen mit öffentlichen Stereoprojektionen organisiert die Deutsche Gesellschaft für Stereoskopie.


[1] Leo H. Bräutigam: Stereofotografie mit der Kleinbildkamera, Wittig Fachbuchverlag 1996, ISBN 3-930359-31-6
[2] Gerhard Kuhn: Stereofotografie und Raumbildprojektion, Verlag für Foto, Film und Video, ISBN 3-88955-119-X.
[3] Jac. G. Ferwerda: The World of 3-D. Publication of the Netherlands Society for Stereophotography, c/o Harry zur Kleinsmiede, Sassenbergen 67, 9531 GW Borger, The Netherlands.
[4] Stereoskopie, Materialien Band 5, Museum für Verkehr und Technik, Berlin, ISBN 3-9801602-1-2.
[5] stereo-journal, die Vereinszeitschrift für Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie (DGS)

Deutsche Gesellschaft für Stereoskopie e.V., Geschäftsstelle Ilkstraat 36, D-22399 Hamburg, http://www.stereoskopie.org/
RBT Raumbildtechnik GmbH Karlstrasse 19, 73773 Aichwald, http://www.rbt-3d.de/
Perspektrum, der 3D-Shop, http://www.perspektrum.de/




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