Letzte Aktualisierung am: Tue, 27. Dec 2011
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Leitlinien zur Herstellung von Stereobildern und Stereofilmen

Gerhard P. Herbig,   gph@herbig-3d.de

Als Produzent von stereoskopischen Inhalten, sei es als Amateur oder als Profi, erkennt man schnell die Empfindlichkeit des Publikums gegenüber einer Verletzung der stereoskopischen Regeln. Schnelle Ermüdung und Unaufmerksamkeit sind hierbei nur die harmloseren Folgen, teilweise wird sogar von Kopfschmerzen und Übelkeit berichtet. Seit längerer Zeit schon findet man die 3D-Grundregeln ausformuliert als Die 3 Goldenen Regeln der Stereoskopie, wobei diese lediglich eine Handlungsanweisung für die tatsächlich vorhandenen Freiheitsgrade bei der Aufnahme, der Montage und der Wiedergabe darstellen. Diese 3 Goldenen Regeln reichen aber bei weitem nicht aus, um für seine stereoskopischen Präsentationen die uneingeschränkte Zustimmung des Publikums zu bekommen.

Deshalb enthält dieses Papier weitere Richtlinien und Handlungsanweisungen, die über die erwähnten Grundregeln hinausgehen. Zwar fehlen zum Teil die zwingenden mathematischen Abhandlung, trotzdem stellen die Behauptungen wesentlich mehr dar, als nur die persönliche Meinung des Autors, da es sich bei der Zusammenstellung des folgenden 12-Punkte Katalogs um Formulierungen weithin akzeptierter Zusammenhänge handelt. Der Katalog enthält 7 Einträge für Stereobilder und 5 Einträge für den Stereofilm.

1. 7 Leitlinien zur Herstellung von Stereobildern

1.1 Aufnahme-Synchronität im Bild

Die Aufnahmen müssen genau zeitgleich aufgenommen werden. Es gibt momentan noch keine Möglichkeit, Synchronisationsfehler nachträglich zu korrigieren. Fehlerhafte Bilder können nicht mehr für stereoskopische Zwecke verwendet werden. Die durch Synchronisationsfehler zusätzlich erzeugten Höhenfehler sollten den Toleranzrahmen von 1/1000 der Bildhöhe (entspricht also etwa 1 Pixel bei Full HD) nicht überschreiten.

1.2 Stereobasis

Die Stereobasis darf nicht zu groß sein und sollte an das Motiv angepasst werden. Der Fusionsalgorithmus des menschlichen Gehirns verkraftet nur ein beschränktes Maß an Raumtiefe - bei zuviel Tiefe kann das Bild nicht mehr fusioniert werden und es erfolgt Bildzerfall. Der Versuch zu fusionieren, wird mit steigender Raumtiefe immer anstrengender empfunden. Als Richtwert gilt ein maximaler Seitenversatz korrespondierender Bildpunkte von etwa 1/30 der Bildbreite. Als Bildbreite gilt die ohne Kopfverdrehen erfassbare Breite des Bildes.

Anmerkung 1: Wenn es das Motiv zulässt, kann auch der Bildraum vor dem Scheinfenster genutzt werden. Für diese Fälle gilt eine erhöhte Deviationsgrenze, deren genauer Wert aber vom Motiv abhängig ist. Für die Bildanteile, die vor dem Scheinfenster liegen, kann eine zusätzliche Deviation bis 1/50 der Bildbreite meist noch gut akzeptiert werden.

Anmerkung 2: Die Beschränkung der Deviation auf 1/30 der Bildbreite bezieht sich immer auf den gleichzeitig erfassbaren Bildbereich, ohne dass der Kopf bewegt werden muss. Ist beispielsweise das projizierte Stereobild so groß, dass es nicht mehr gleichzeitig wahrgenommen werden kann, ist der maximale Deviationswert entsprechend zu reduzieren. Für die Kinoprojektion mit sehr großen Leinwänden wird deshalb häufig eine reduzierte Deviation von 1/40 der Bildbreite empfohlen.

Anmerkung 3: Bei Präsentationen mit variierenden Höhen/Seitenverhältnissen sind alle individuellen maximalen Deviationswerte auf die Bildbreite des breitesten Bildes zu beziehen. Dies führt für die Hochformat-Bilder in der Regel zu deutlich höheren maximalen Deviationswerten.

Anmerkung 4: Der maximale Seitenversatz von 1/30 der Bildbreite ist als obere Grenze zu verstehen und kann im Einzelfall auch schon zu groß sein, besonders wenn sich das Nahpunktobjekt und das Fernpunktobjekt in einem Stereobild gerade schneiden.

1.3 Scheinfensterrahmung

Ein Stereobild wird wie durch ein offenes Fenster gesehen. Dieses Fenster nennt man Scheinfenster. Ob sich die zu sehenden Objekte vor oder hinter der Scheinfensteröffnung befinden, kann vom Bildautoren festgelegt werden. Diesen Prozess nennt man Scheinfensterrahmung. Dies ist in jedem Fall ein kreativer Akt und deshalb auch immer wieder Stoff für Expertendiskussionen. Einigkeit herrscht aber darüber, dass kein Bildelement den virtuellen Rahmen des Scheinfensters durchdringen darf. Nur Objekte, die sich in der Mitte des Bildes befinden, dürfen vor das Scheinfenster gesetzt werden. Es existiert eine Blickpyramide mit dem Bild als Pyramidenbasis und dem Betrachter an der Spitze der Pyramide. Alle Objekte außerhalb dieser Blickpyramide werden vom Scheinfenster angeschnitten und sind deshalb prinzipiell nicht stereoskopisch darstellbar.
Anmerkung: In der Literatur findet man als Bezeichnung für die Scheinfensterebene auch den Begriff der Nullebene (Deviation = 0), wobei dieser Begriff aber irreführend ist und deshalb vermieden werden sollte: Bei großen Projektionen wird in der Regel die Scheinfensterebene deutlich vor die Projektionsfläche gezogen, sie besitzt dann eine stark von Null abweichende Deviation.

1.4 Geometrische Verzerrungen

Es darf keine geometrischen Unterschiede zwischen dem linken oder dem rechten Bild geben, also keine Größenunterschiede, keine Rotationen und keinen Höhenversatz der Bilder zueinander. Bei der stark umstrittenen Methode mit konvergenten Aufnahmeachsen (toe-in) entstehen Trapezverzerrungen, welche keinesfalls unkorrigiert bleiben dürfen (z.B. mit der Software Cosima). Als Richtwerte mögen für die mittleren resultierenden Restfehler folgende Zahlenwerte dienen:

maximaler Höhenfehler: 0.1 %
maximaler Größenfehler: 0.2 %
maximaler Rotationsfehler: 0.1 Grad
maximaler Vergenzfehler: 0.1 Grad (Normalobjektiv unterstellt)

1.5 Farbfehler

Unterschiedlicher Kontrast und unterschiedliche Farben führen ebenfalls zu Irritationen beim Sehen, es führt zum Wettstreit der beiden unterschiedlichen Informationen. Allerdings sind Farbfehler im Stereobild nachträglich durch Software korrigierbar. Cosima z.B. verwendet hierzu ein Verfahren, bei dem die Histogramme der 3 Grundfarben angeglichen werden (histogram matching). Diese Methode funktioniert sehr gut, so dass es keine unterschiedliche Farben im Stereobild mehr geben muss.

1.6 Unschärfeverbot

Damit ein Stereobild vom Konsumenten in allen Bildteilen gleichermaßen genossen werden kann, fordert man häufig eine durchgehend scharfe Abbildung für das gesamte Bild. Mindestens aber ist sie für diejenigen Bildteile notwendig, welche die Aufmerksamkeit des Betrachter auf sich ziehen. Jede Unschärfe führt zu einem Regelimpuls des Sehapparates, die Sehschärfe entsprechend nachzuregeln. Da bei der stereoskopischen Projektion Akkomodation und Konvergenz sowieso schon entkoppelt sind und deshalb für den Betrachter erschwerte Bedingungen vorliegen (Akkomodation und Konvergenz müssen jeweils unabhängig voneinander geregelt werden), wird jeder zusätzliche Regelanstoß zum Scharfstellen als störende Irritation empfunden. Hier mag es individuell sehr unterschiedliche Belastungsgrenzen geben, bei der stereoskopischen Projektion sollte aber immer das empfindlichste Teil des Publikum berücksichtigt werden.

1.7 Divergenzverbot

Eine zu große Divergenz bei der Projektion gilt als sicherstes Mittel, beim Publikum Kopfschmerzen zu erzeugen. Bei großen DGS-Veranstaltungen wird deshalb ein maximaler Divergenzwinkel von 1/2 Grad angestrebt. Werte größer als 1 Grad gelten schon als Körperverletzung. Diese Werte müssen immer auf die vordersten Plätze bezogen werden.

2. 5 Leitlinien zur Herstellung von Stereofilm

2.1 Aufnahme-Synchronität im Film

Jede Asynchronität wirkt sich im 3D-Film katastrophal aus. Selbst leichte Zeitverschiebungen im linken und rechten Bild führen schon bei vermeintlich langsamen Bewegungen (z.B. gehende Personen) zu deutlichen Raumfehlern. Man achte beim nächsten 3D-Film einmal auf die Beine einer gehenden Person und speziell darauf, wo sie sich genau im Raum befinden. Asynchronitäten sieht man an unnatürlichen Schlenderbewegungen und im schlimmsten Fall am gegenseitigen räumlichen Durchdringen der Beine. Die Synchronität sollte im 3D-Film besser als 1/1000 Sekunde sein.

2.2 Wiedergabe-Synchronität im Film

Auch hier gilt es, technisch nur die besten bekannten Lösungen auszuwählen. Messungen und absolute Toleranzwerte fehlen hier leider. Aus Vergleichen weiß man aber, dass beim Abspielen von stereoskopischem Bildmaterial das side-by-side Format deutlich weniger Differenzjitter produziert als das Abspielen von Einzelstreams. Daneben ist die Dual-Beamer Methode mit polarisiertem Licht der Shuttertechnik deutlich überlegen, da bei der Shuttermethode mit jedem Bildwechsel die Fusion zweier zeitlich nicht zueinander gehörenden Bewegungsphasen erfolgen muss. Eine fehlerfreie Darstellung von Bewegung ist damit nicht mehr möglich (time-sequential artefact).

2.3 Differenzjitter

Eines der übelsten Ursachen für Augenstress im 3D-Film ist Differenzjitter. Damit bezeichnet man alle Bewegungen, die im linken und rechten Bild ohne festen Zeitbezug und teilweise gegenläufig sichtbar sind. Differenzjitter kann man leicht feststellen, wenn man die Stereobrille abnimmt und sich im Stereofilm auf einen hellen Punkt konzentriert, beispielsweise auf einen Scheinwerfer einer sich nähernden Lokomotive. Falls sich die Bildpunkte im linken und rechten Bild immer gleichzeitig bewegen, hat man bei der Aufnahme lediglich die Kamera nicht ruhig gehalten, was nicht schön ist, aber noch keinen Differenzjitter darstellt. Differenzjitter liegt dagegen genau dann vor, wenn sich die Bildpunkte quasi zufällig gegeneinander bewegen. Die Augen müssen bei der Betrachtung diesen Bewegungen individuell folgen, was beim natürlichen Sehen niemals vorkommt. Sie sind dann überanstrengt und ermüden schnell. Nach gewisser Zeit fällt es schwer, sich weiter auf das Bild zu konzentrieren – man weiß in der Regel aber nicht, warum. Die Ursachen für Differenzjitter können vielfältig sein und es ist meist schwierig, die genaue Ursache festzustellen. Häufige Ursachen für Differenzjitter sind:

2.4 Geschwindigkeit Schnittfolge

Die Raumbildfusion benötigt im Gehirn eine gewissen Verarbeitungszeit. Wenn der Filmschnitt zu schnell ist und diese notwendige Verarbeitungszeit nicht berücksichtigt, verkommt der 3D-Film zum Disko-Geflimmer. Abgesehen davon sollte man den Betrachter nicht seines Vergnügens, nämlich das Stereobild mit den Augen zu erwandern, allzu sehr berauben. Der 3D-Film erfordert also insgesamt einen etwas ruhigeren Schnitt - eine Erkenntnis, die sich leider noch nicht überall durchgesetzt hat.

2.5 Manipulation durch Schärfe-Verlagerung

Viele Filmregisseure neigen dazu, das Publikum durch Schärfe-Verlagerung im Film zu manipulieren und seine Aufmerksamkeit immer auf eine bestimmte Stelle im Bild zu lenken. Das 3D-Publikum möchte dagegen das Raumbild selbständig mit den Augen abtasten. Beide Vorgehensweisen passen nicht zueinander. Die Filmschaffenden sollten deshalb bereit sein, umzudenken und ein beim Flachfilm entstandenes und nur dort sinnvolles Gestaltungsmittel beim Stereofilm nicht anwenden. Anstatt dessen lässt sich im Stereofilm die Aufmerksamkeit durch Tiefenstaffelung beeinflussen.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1 Toleranzen und Akkumulation aller Störeffekte

Manche dieser Forderungen mag auf den ersten Blick überzogen sein, da man auch bei Bildern und Filmen, welche einzelne Toleranzwerte deutlich überschreiten, immer noch ganz prima räumlich sehen kann. Ziel muss es jedoch sein, Standards zu schaffen, welche den Stereogenuss auch über längere Zeiträume und ohne jede Anstrengung garantieren (beispielsweise wird bei internationalen Stereo-Kongressen tagelang von früh bis spät projiziert). Der Konsum stereoskopischer Präsentationen sollte für unseren Sehapparat genauso selbstverständlich sein wie auch das natürliche räumliche Sehen - welches uns ja in keinster Weise anstrengt. Einziger Unterschied ist die bei der stereoskopischen Projektion notwendige und bereits erwähnte Entkoppelung von Akkomodation und Konvergenz, die aus prinzipiellen Gründen nicht verhindert werden kann. Offensichtlich stellt dies aber kein allzu großes Problem dar, denn bei Einhaltung aller anderen hier aufgeführten Punkte werden auch längere stereoskopische Projektionen als Genuss empfunden.

3.2 Ehrencodex der Stereoschaffenden

Wer 3D produziert, hat eine besondere Verantwortung gegenüber dem Publikum! Wenn man beim Betrachten eines Stereobildes oder -films schon auf den ersten Blick merkt, dass irgendetwas nicht stimmt, liegt meist ein grobes Vergehen gegen eines der oben genannten Kriterien vor. Viel schlimmer sind aber die kleineren versteckten Fehler, die auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommen werden und beim kurzzeitigen Betrachten eines 3D-Bildes auch gar nicht weiter stören. Erst nach dem Genuss eines ganzen Filmes (oder einer Bilderschau) stellt sich dann der berühmt berüchtigte 3D-Brummschädel ein. Nur der permanent kritische (und möglichst geschulte) Kontrollblick ohne Brille bewahrt das Publikum vor solch unliebsamen Überraschungen.


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